DIE LINKE. Fraktion im LWV möchte Ihnen/euch einige kritische Gedanken zum hessischen Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes unterbreiten.
Den vollständigen Gesetzestext finden Sie / findet ihr unter diesem link:
http://starweb.hessen.de/cache/DRS/19/3/06413.pdf#search=%22%22
Grundsätzlich begrüßt die Fraktion DIE LINKE. im LWV Hessen, dass nun ein hessisches Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes vorliegt. Mit Erleichterung nehmen wir zur Kenntnis, dass der LWV Hessen weiterhin Träger für die Eingliederungshilfe erwachsener Menschen mit Behinderungen bleibt. Dies garantiert am ehesten, dass alle Menschen mit Behinderung in Hessen gleichwertige Lebensverhältnisse vorfinden.
Kritische Anmerklungen der Fraktion DIE LINKE im LWV
zum Hessischen Gesetz zur Umsertzung des BTHG
Dennoch bleiben zahlreiche kritische Punkte, betrachtet man das Gesetz als Ganzes.
Zunächst ist durch die sehr späte Festlegung auf den Träger der Eingliederungshilfe viel Zeit für eine sorgfältige Vorbereitung zur Umstellung auf das BTHG verloren gegangen.
Dann weist der vorliegende Gesetzesentwurf Lücken und Fehler auf. Man spürt deutlich, dass hier auf den allerletzten Drücker noch Fakten geschaffen werden sollten, bevor im Oktober eine neue Hessische Landesregierung gewählt wird. Das Eilverfahren, mit dem das Gesetz durchgedrückt wurde, erscheint uns eher befremdlich und dem Sachverhalt nicht angemessen. Statt als Regierungsvorlage wurde das Gesetz als Fraktionsvorlage eingebracht, was die Zeit für Anhörungen und den inhaltlichen Diskurs verkürzte.
Vielen Betroffenen und vielen Beschäftigten in der Eingliederungshilfe war lange nicht bewusst, dass mit dem Bundesteilhabegesetz eine radikale Systemumstellung verbunden ist.
Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden ab 2020 von den existenzsichernden Leistungen getrennt und das System „ambulant, teilstationär und stationär“ wird es in der bisherigen Form nicht mehr geben.
Diese Umstellung birgt Gefahren für den betroffenen Personenkreis. Denn man erhofft sich nicht nur bessere Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung, sondern auch Einsparmöglichkeiten – und zwar vor allem mit der Personenzentrierung. Der Sozialraum wird vernachlässigt.
Das Bundesteilhabegesetz ist vor allem ein Spargesetz, das sich am wirtschaftlich günstigsten Anbieter orientiert und nicht die Qualität der Dienstleistungen in der Behindertenhilfe in den Mittelpunkt stellt.
Vielleicht ist deshalb die Erwartungshaltung der schwarzgrünen Koalition auch so gering. Im Gesetzesentwurf ist vermerkt: Das Gesetz werde keine besonderen Auswirkungen auf Menschen mit Behinderung haben. Angesichts der Bedeutung des BTHG ist diese Aussage mehr als befremdlich.
Genauso kritikwürdig ist, dass sich das Land finanziell völlig aus der Verantwortung zieht. Schwarzgrün behauptet, dass Ganze sei kostenneutral bzw. die Mehrkosten würden sich dadurch tragen, dass der Bund den Kommunen in anderen Bereichen mehr Mittel zukommen lässt. Durch zusätzliche Aufgaben, die auf die Leistungserbringer zukommen (z.B. Gremien, Berichtswesen, Prüfungen, Personalkosten etc.), entstehen aber erhebliche Mehrkosten. Die Auswirkungen des Gesetzes zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes ist daher für die Leistungserbringer nicht kostenneutral.
Der Landeswohlfahrtsverband bleibt als überörtlicher Träger für die Erwachsenen zuständig. Sein Konzept ist ein so genanntes Lebensabschnittsmodell mit 2 Schnittstellen: Die Kinder- und Jugendhilfe bleibt bei den Kommunen und Rentnerinnen und Rentner wechseln vom LWV wieder zur Sozialhilfe. Fachlich und sachlich ist uns dieses Modell nicht nachvollziehbar.
Wir können zwar erkennen, dass man die bereits kommunalisierte Kinder- und Jugendhilfe bei den Kommunen und kreisfreien Städten belässt. Allerdings löst dies nicht das Problem einer strukturellen Unterversorgung der Jugendämter. Hier ist schon das entstanden, was man bei einer Auflösung des LWV befürchtet hatte: Die Qualität der Jugendhilfe ist vom Wohnort abhängig und davon, wie viel Geld einer Stadt oder einem Kreis zur Verfügung steht. Gerade bei seelisch behinderten Kindern werden Leistungen oft erst sehr spät gewährt und therapeutische Hilfe muss erkämpft werden. Manche Eltern nehmen Umzüge in Kauf, damit ihr Kind therapeutisch versorgt wird.
Auch die zweite Schnittstelle erscheint uns nicht logisch: Warum sollen Menschen, die nach dem Renteneintritt erst in die Eingliederungshilfe fallen, nicht vom LWV Leistungen erhalten? Es ist wenig verständlich, warum der örtliche Träger hier eine weitere Struktur neben dem LWV aufbauen soll - zumal die Kreise und kreisfreien Städte keine Erfahrungen mit der Eingliederungshilfe haben. Außerdem ist zu befürchten, dass hier keine weiteren Angebote geschaffen werden, sondern auf bereits existierende zurückgegriffen wird.
Der Gesetzgeber sollte auch die geplante 4 Wochenfrist überdenken: Zwar sollen alle Leistungsempfänger, die bereits im Bezug von LWV-Leistungen sind auch über das 65ste Jahr Mittel beziehen, aber nur wenn sie dies auch rechtzeitig beantragen. Wer nicht innerhalb von 4 Wochen erneut Leistungen der Eingliederungshilfe beim LWV beantragt, wird dem örtlichen Träger zugewiesen und hat kein Rückkehrrecht zum LWV.
Der Gesetzentwurf zielt hier wohl auf Menschen mit (Alters-)Pflegebedürftigkeit, die allenfalls ergänzende Eingliederungshilfe benötigen.
Gefährlich wird es aber für Menschen mit seelischer Behinderung oder psychischer Erkrankung. Hier kann es durchaus vorkommen, dass aufgrund der vorliegenden Behinderungen ein Antrag stark verspätet eingereicht wird. Dies hätte dann aber die Konsequenz, dass ein Wechsel der Leistungsträgerschaft stattfände, was fachlich und sachlich kontraproduktiv sein könnte.
Für Personen, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze zum ersten Mal Leistungen der Eingliederungshilfe beantragen, sollte der Landeswohlfahrtsverband zuständig bleiben!
Eine Altersschnittstelle lehnen wir grundsätzlich ab.
Die LINKE begrüßt die im Gesetz vorgesehene landesweite sozialräumliche Berichterstattung, wenn sie der Verbesserung der Qualität und des Angebots der Eingliederungshilfe dient. Weitere Kosteneinsparung wollen wir damit nicht begründet sehen!
Wir vermissen im Gesetz, die Erarbeitung von Zielen, Methoden und Kriterien einer Sozialplanung. Ebenso unklar bleibt, welche Aufgaben von der Vertragskommission bzw. der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung und Weiterentwicklung der Strukturen der Eingliederungshilfe übernommen werden. In der Beschreibung der Aufgaben beider bestehen deutliche Überschneidungen. Hier wäre genauer zu überprüfen, wie sich diese voneinander unterscheiden lassen.
Außerdem stellen wir uns eine Sozialraumplanung weitergehender und umfassender vor:
Nicht nur die Leistungsträger der Eingliederungshilfe und die örtlichen Anbieter von Leistungen sollten daran beteiligt sein, sondern die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung vor Ort ebenso, wie die Leistungserbringer, die die örtliche Situation gut kennen und einschätzen können. Die alleinige Definition des Sozialraumes durch den Leistungsträger ist einseitig und birgt das Risiko, wesentliche Belange von Menschen mit Behinderung unberücksichtigt zu lassen.
Der LWV Hessen sollte außerdem gesetzlich verpflichtet werden, dezentrale Strukturen aufzubauen und eine ständige Präsenz von LWV-Mitarbeitenden in den Städten und Landkreisen sicherzustellen. Auch, um sich aktiv an den regionalen Netzwerken und der Koordination der Behindertenhilfe beteiligen zu können.
Wir haltenes für problematisch, dass die Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung allein durch eine Landesbeauftragte im Ehrenamt sichergestellt werden soll, die darüber hinaus noch weisungsgebunden ist.
„Die oder der Beauftragte der hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen nach 318 HessBGG wirkt als Kooperationspartner/in nach §§ 94. Abs. 4, 131 Abs. 2, 133 Abs 5 Nr. 10 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch IX mit“.
Eine ehrenamtliche Einzelperson kann gar nicht voll umfänglich alle behinderten Menschen repräsentieren und deren vielfältige Interessen vertreten.
Darauf weißt die Landesbeauftragte der Behinderten selbst hin und schlägt vor, den Gesetzestext so zu ändern:
„Die maßgebliche Interessenvertretung der Menschen mit Behinderungen insbesondere nach §§ 131 Abs. 2, 133 Abs. 5 Nr. 10 des neunten Sozialgesetzbuches übernehmen die Selbsthilfeorganisationen der Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen und Sinnesbeinträchtigten. Die Menschen können die Aufgaben mit der Unterstützung eines Menschen seines/ihres Vertrauens wahrnehmen.“
Diese Formulierung würde der Absicht des Bundesgesetzes gerecht, das von „Interessenvertretungen“ (im Plural) spricht.
Zur Umsetzung des BTHG und der UN-Behindertenrechtskonvention und den sich daraus ergebenden Herausforderungen und Chancen müssen die betroffenen Verbände selbst beteiligt werden! Außerdem müsste die Stelle der/des Landesbehindertenbeauftragten auf Grund der wachsenden Aufgaben hauptamtlich ausgeübt werden.
Für die LINKE ist auch nicht nachvollziehbar, warum der Landeswohlfahrtsverband Hessen zukünftig im Bereich der Eingliederungshilfe an die Weisungen des Landes gebunden sein soll und es für diesen Bereich nun einer Fachaufsicht bedarf. Es gibt es langjährig bewährte Regelungen, die aus unserer Sicht ausreichend sind. Bisher wurden alle Aufgaben der örtlichen und der überörtlichen Träger als Selbstverwaltungs-angelegenheit ausgeführt. Jetzt wird die Fachlichkeit angezweifelt? Würde eine Fachaufsicht des Landes die Eingliederungshilfe verbessern?
In Benchmarks steht Hessen im Bundesvergleich gut da, sowohl bei der Kostenentwicklung als auch bei der Qualität des Angebotes.
Außerdem bedeutet dies eine Entdemokratisierung und einen Eingriff in die parlamentarische Verfasstheit des gewählten Sozialparlaments: der Verbands-versammlung des LWV. Alle Beschlüsse der Verbandsversammlung könnten von einer Regierungsbehörde beaufsichtigt, genehmigt oder abgelehnt werden. Dies hält die Fraktion DIE LINKE. im LWV für sehr bedenklich, denn es verstößt u. E. gegen die Hessische Verfassung.
Der Landesgesetzgeber führt ein anlassloses Prüfrecht ein. Neben der jetzt schon bestehenden anlasslosen Qualitätsprüfung soll noch eine anlasslose Wirtschaftlichkeitsprüfung geschaffen werden. Natürlich sollten grundsätzlich Wirtschaftlichkeitsprüfungen möglich sein, aber es sollte feststehende Kriterien für das Verfahren einer solchen Prüfung geben. Eine anlasslose Wirtschaftsprüfung hat einen unguten Beigeschmack, denn sie stellt unter Generalverdacht und bedeutet auch einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Leistungsträger. Immerhin sind für die Zusammenarbeit mit dem LWV bereits entsprechende Vereinbarung (wie Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen) abgeschlossen worden. D.h. es gibt bereits geregelte Rahmenbedingungen, die dem Wirtschaftlichkeitsgebot Rechnung tragen.
Demgegenüber hält DIE LINKE Prüfungen qualitätssichernder Mindeststandards grundsätzlich für sinnvoll und richtig!
Die Verfasser des Gesetzesentwurfs erwarten durch die neue Zuständigkeitsverteilung in der Eingliederungshilfe eine Verringerung der Schnittstellen und die Abschaffung von Doppelstrukturen. Ob dies gelingt ist allerdings fraglich und wird davon abhängen, ob die Kreise und kreisfreien Städte entsprechende politische Vorgaben machen und organisatorische Vorkehrungen schaffen, damit es nicht zu Zuständigkeitskonflikten innerhalb der jeweiligen Verwaltung kommt. Insbesondere darf es nicht zu Situationen kommen, dass Fälle wegen hoher Kosten hin und her geschoben werden.
Sinnvoll wäre eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Prozesses, wie Herr Prof. Welti es vorschlägt (Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht, Recht der Rehabilitation und Behinderung, Universität Kassel).