Antrag der Fraktionen SPD, FDP, FW, die Grünen und
Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. zum Thema:
Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychiatrischem und psychotherapeutischen Hilfebedarf.
Darunter: Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE.
Der Verwaltungsausschuss möge gemeinsam mit Vitos prüfen, wie eine bessere Versorgung für Menschen mit psychiatrischem bzw. psychotherapeutischem Hilfebedarf, insbesondere von Kindern und Jugendlichen an der Schnittstelle zur Jugendhilfe sowie von Menschen mit geistiger Behinderung, realisiert werden kann.
Hierzu sollte neben den Gebietskörperschaften auch das Hessische Sozialministerium und die Kassenärztliche Vereinigung eingebunden werden.
Begründung
Obgleich die Anzahl unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter zurückgeht, ist die psychologische, psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung unverändert schlecht. Zu diesem Ergebnis kommt der „Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ in seiner Umfrage-Auswertung vom Dezember 2019. Die jungen Menschen müssten lange auf Termine warten, viele Praxen seien überfüllt und nähmen keine Patienten mehr auf, häufig seien Ärzte und Therapeuten nicht ausreichend mit Traumatherapie vertraut. Der Mangel an Fachärzten und Therapeuten verschärfe die
Situation zusätzlich.
Aber nicht nur Kinder und Jugendliche mit traumatischen Erfahrungen im Hinblick auf Fluchtgründe und Fluchterfahrungen sind betroffen. Auch Kinder mit psychischen Erkrankungen ohne Fluchthintergrund sind unzureichend versorgt. Nach der stationären Akutversorgung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist die Jugendhilfe mangels Angeboten oftmals nicht in der Lage, den Herausforderungen und Bedarfen angemessen Rechnung zu tragen.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch für Erwachsene ab, die die stationäre Akutversorgung verlassen und weiterhin der Hilfe bedürfen.
Daran ändert auch die Einrichtung der 4 Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge in Hessen nichts, die im Jahre 2017 ihre Arbeit aufgenommen haben. Hier kann trotz des überaus großen Engagements aufgrund der Kapazitäten allenfalls auf eine Stabilisierung der Betroffenen hingewirkt werden, sodann müssen weitere Therapieangebote ausfindig gemacht werden.
Daneben soll die aktuelle Situation der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung in Hessen in den Fokus genommen werden. Die Versorgungssituation ist hier teilweise sehr schlecht, was auch damit zusammenhängt, dass Menschen mit geistiger Behinderung bis vor kurzem rechtlich von der psychotherapeutischen Versorgung ausgeschlossen waren. Durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von Anfang 2019 ist diese diskriminierende Form des Ausschlusses beendet, Therapeuten können jetzt Therapien als Kassenleistung abrechnen. Allerdings fehlt es an Konzepten und vor allem an geschulten und zu Therapie bereiten Experten.
Um langfristig die Anzahl der psychischen Behinderungen möglichst nicht weiter eskalieren zu lassen, für die dann der LWV mit seiner Eingliederungshilfe zuständig wäre, ist eine frühzeitige und bessere Versorgung aller Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen erforderlich, insbesondere aber an der Schnittstelle zur Jugendhilfe.
Gute Beispiele, wie die Arbeit der Caritas oder von FATRA e.V. in Frankfurt, können Anhaltspunkte bieten.
Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE.:
Änderungsantrag zum Antrag der Koalition ”Verbesserung der ambulanten psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Versorgung in Hessen” der SPD-, FDP-und FW-Fraktion, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:
Der Verwaltungsausschuss möge gemeinsam mit Vitos prüfen, wie eine bessere Versorgung für Menschen mit psychiatrischem bzw. psychotherapeutischem Hilfebedarf, insbesondere von Kindern und Jugendlichen an der Schnittstelle zur Jugendhilfe sowie von Menschen mit geistiger Behinderung, realisiert werden kann. Hierzu sollte neben den Gebietskörperschaften auch das Hessische Sozialministerium und die Kassenärztliche Vereinigung eingebunden werden. Darüber hinaus solltenTräger der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche und Erwachsene, Angehörigen- und Betroffenengruppen , psychotherapeutische Interessensverbände, ehrenamtliche Gruppierungen in der Flüchtlingshilfe in die Beratungen miteinbezogen werden.
Der Verwaltungsausschuss wird aufgefordert, ein hessenweites Konzept für die Sicherstellung der psychiatrischen, psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Versorgung, insbesondere in Flächenlandkreisen zu entwerfen, das folgende inhaltliche Schwerpunkte haben soll:
1. sozialpsychiatrische und integrierte Versorgungsmodelle für Kinder und Jugendliche und Erwachsene - besonders in Flächenlandkreisen - auszubauen und zu entwickeln.
2. Wartezeiten in den Kinder- und Jugendpsychiatrien abzubauen und flächendeckend
sozialpsychiatrische Versorgungsmodelle auch für Kinder und Jugendliche zu schaffen.
3. Die stationsäquivalente Versorgung hessenweit zu fördern, auszubauen und personell
ausreichend auszustatten.
4. Therapiemöglichkeiten für Menschen mit geistiger Behinderung und psychischen Störungen zu schaffen.
5. Wohnprojekte und besondere Therapieangebote für Menschen mit autistischen Störungen zu schaffen und spezielle Therapieangebote für Kinder und Jugendliche mit Autismus zu entwickeln und auszubauen.
6. Die Versorgung von Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen zu verbessern, durch spezielle integrierte Versorgungsmodelle und Angebote (z.B. DBT-Programme /
Psychodynamisch-konfliktorientierte Psychotherapiemodelle).
7. Die psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen und Erwachsenen Flüchtlingen zu verbessern und sicherzustellen, sodass es auch vor und mit einer Duldung die Möglichkeit von Kostenübernahmen gibt.
8. Ein Screening zur Erkennung von psychischen Erkrankungen in Erstaufnahmeeinrichtungen einzuführen und Mitarbeiterinnen, die mit Flüchtlingen arbeiten, besonders zu schulen. Spezielle einzeltherapeutische und gruppentherapeutische Angebote für schwere Traumatisierungen in Erstaufnahmeeinrichtungen einzurichten.
9. Therapieangebote in leichter Sprache anzubieten.
Begründung:
Die Fraktion DIE LINKE begrüßt den Antrag der Koalition sich mit der Thematik der psychotherapeutischen Versorgung in Hessen auseinanderzusetzen. Eine Debatte über eine ausreichende psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Versorgung ist in Hessen überfällig.
Therapieplätze und therapeutische Angebote müssen in Hessen verbessert und angepasst und die Wartezeiten auf Therapieplätze reduziert werden.
Häufig verzögert sich der Behandlungsbeginn einer psychischen Erkrankung schon soweit, dass eine Chronifizierung vorliegt. Dabei ist ein Defizit im psychotherapeutischen Angebot nicht nur bei Geflüchteten zu erkennen, sondern auch allgemein im ländlichen Raum bei Einzeltherapeuten. Für spezifische Zielgruppen (schwere Persönlichkeitsstörungen/Kinder und Jugendliche mit Autismusspektrumstörungen) sind selbst Einzeltherapieplätze kaum ausreichend. Hier müssten neue Angebote geschaffen werden, die auch den Sozialraum der Menschen mit einbeziehen.
Prävention, Früherkennung sowie eine zielgruppengemäße und möglichst frühe Behandlung von psychischen Erkrankungen und posttraumatischen Belastungsstörungen ist eine Voraussetzung für den Erfolg einer Behandlung und bei Flüchtlingen die Vorraussetzung sich in Deutschland gut integrieren zu können.
Die Zuständigkeit, der die Gesundheitsversorgung finanzierenden Institutionen (Sozialversicherung, Länder, Gemeinden, Krankassen etc.) ist unterschiedlich geregelt. Eine Durchlässigkeit und Wechsel zwischen stationären, teil- stationären und ambulanten Angeboten funktioniert – auch nach der Einführung des Bundesteilhabegesetzes - häufig nicht. Die psychiatrische Versorgung erfolgt nicht nach dem Bedarf, sondern nach den Zuständigkeiten der Akteure im Gesundheitswesen. Das Ergebnis sind ineffiziente Behandlungsabläufe bei insgesamt überhöhten Kosten des gesamten Gesundheitswesens.
Versorgungsdefizite bei den Nahtstellen (niedergelassenerArzt/Psychotherapeut/Psychiatrie/sozialpsychiatrische Angebote) führen nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Qualität der psychiatrischen Versorgung, sondern verursachen auch zusätzliche Kosten.
Dabei ist vor allem eine mangelnde Vernetzung der einzelnen Dienstleister im Gesundheitswesen zu beobachten: Die Behandlungsprozesse werden an den Nahtstellen unterbrochen, die Informationsweitergabe ist mangelhaft oder fehlt fallweise sogar vollständig. Es gibt nur wenige integriere Versorgungsmodelle, die eine Vernetzung aller Akteure schaffen. ( Z.B. versa GmbH Frankfurt).
Daneben ist ein Problem, dass es für Kinder und Jugendliche lange Wartelisten auf stationäre Behandlung in der Psychiatrie gibt und im ländlichen Raum ambulante Kinder und Jugendlichen Psychotherapeuten fehlen. Ebenso ist zu beobachten, dass bei Kindern und Jugendlichen die Diagnose Autismus zunehmend häufig gestellt wird, ohne das Angebote gestärkt werden. Spezialisierte Wohngruppen und Therapieangebote, die sich nur auf diese Zielgruppe richten, sollten geschaffen werden. Häufig sind es
Kinder und Jugendliche mit der Diagnose Autismus, die zu den sogenannten “Systemsprengern” gezählt werden und an jeder Massnahme scheitern. Die Folge sind Langzeitunterbringungen in Kinder- und Jugendpsychiatrien, in Einzelfällen über mehrere Jahre.
Ebenso schlecht versorgt sind Erwachsene mit schweren Persönlichkeitsstörungen, die hochfrequente gruppen- und einzeltherapeutische Angebote bräuchten, um von den therapeutischen Angeboten profitieren zu können. Vereinzelt gibt es solche Angebote, aber insbesondere im ländlichen Raum ist selbst die Versorgung mit Einzeltherapien unzureichend. Sozialpsychiatrische Anlaufstellen und integrierte Versorgungsansätze müssten hessenweit ausgebaut werden, um eine wohnortnahe Versorgung zu
gewährleisten.